Ich habe ein wunderbares und erschreckendes Buch gelesen: Little Brother von Cory Doctorow. Es ist eine Erzählung, die in SF spielt. Terroristen sprengen die Oakland Bay Bridge und Kalifornien wird danach zum Polizei- und Überwachungsstaat. Ein 17jähriger Gamer und Hacker stellt sich dem entgegen. Das Buch hat 2 sehr interessante Nachworte eines Hackers und eines Sicherheitsexperten, die klar machen, dass wir uns vor Terror nicht wirklich schützen können. Das aber der Verlust der Privatsphäre ein Sieg des Terrorismus ist.
Der Autor beschreibt aber auch die Stadt SF und ihre Idealisierung.
Ich möchte einen Absatz aus dem Buch zitieren, in dem es um das Civic Center, das
Stadtzentrum geht. Die erwähnte Jane Jacobs war Architektin und hat ein
wegweisendes Buch zur Stadtkultur geschrieben. Und sie hat dafür gesorgt, dass
in vielen (auch deutschen) Städten ein Umdenkungsprozess eingesetzt hat.
Zuckerbäckerbilder gibts ganz viele bei Google |
Seite 392:
Ich habe das Civic
Center schon immer gehasst. Es besteht aus einer Ansammlung von riesigen
Zuckerbäckerbauten: Gerichtskomplexen, Museen und öffentlichen Gebäuden wie dem
Rathaus. Die Bürgersteige sind breit, die Häuser sind weiß. Für die Reiseführer
über SF wird das Ganze immer so fotografiert, dass es aussieht wie das Epcot in
Orlando, dem zweitgrößten Vergnügungspark von Disney World – total futuristisch
und streng.
Aber unten ist alles
ganz schmuddelig und eklig. Auf allen Bänken pennen die Obdachlosen. Abends um
sechs wirkt das Gelände wie ausgestorben, bis auf die Betrunkenen und Junkies,
denn wenn an einem Ort nur eine Art von Gebäude steht, gibt es keinen
wirklichen Grund, warum sich jemand nach Sonnenuntergang dort aufhalten soll. Das
Ganze erinnert mehr an eine Promenade als an ein Wohnviertel, und die einzigen
Geschäfte, die es dort gibt, sind Spirituosenläden, das heißt Läden für die Angehörigen
von Ganoven, die vor Gericht stehen und für Penner, die auf dem Platz ihr
Nachtquartier aufschlagen.
So richtig hatte ich
das erst begriffen, als ich ein Interview mit einer erstaunlich klugen alten
Stadtplanerin las, einer gewissen Jane Jacobs, die für mich die Erste war, die
den Nagel auf den Kopf traf mit ihrer Ansicht, dass man Städte nicht mit
Autobahnen zerschneiden, arme Menschen nicht in Wohnghettos stecken und auch
keine festen Zonen einrichten dürfe, in denen per Gesetz geregelt ist, wer was
wo treibt.
Die Jacobs erklärte,
richtige Städte seien organisch gewachsene Gebilde, die von großer Vielfalt
geprägt sind – wo sich Arme und Reiche, Schwarze und Weiße, Angloamerikaner und
Mexikaner, Läden und Wohnraum, ja sogar Industrie mischten. In einer solchen
Umgebung bewegen sich rund um die Uhr alle möglichen Menschen, sodass sich
Geschäfte ansiedeln, die sämtlichen nur denkbaren Bedürfnissen nachkommen, und
auf den Straßen ist immer etwas los, weshalb sich ein solcher Ort ganz von
selbst überwacht.
Das kennt man ja. Du
läufst durch ein älteres Stadtviertel und stellst fest, dass es da die coolsten
Läden, Typen im Anzug und Leute in Schlabberlook, Sternerestaurants und geile
Cafés gibt, vielleicht sogar ein kleines Kino und Häuserfassaden in echt ausgefallenen
Farben. Sicher kann es dazwischen auch einen Starbucks geben, aber genauso
einen verlockenden Obst- und Gemüsemarkt und eine Blumenfrau, die aussieht,
als ob sie schon seit dreihundert Jahren ganz bedächtig an den Pflanzen in
ihrem Schaufenster herumschneidet. Es ist das Gegenteil von geplantem Raum wie
einem Einkaufszentrum.
Weiter davon entfernt
als das Civic Center kann man überhaupt nicht sein. Ich habe auch ein Interview
mit der Jacobs gelesen, in dem sie von dem schönen alten Viertel spricht, das
für das Center abgerissen wurde. Es war genau so gewesen, ein Ort, der einfach
da war, ohne Genehmigung oder ersichtlichen Plan.
Jacobs schrieb, sie
habe es prophezeit, dass das Civic Center in wenigen Jahren zu einem der
schlimmsten Viertel verkommen würde – zu einer nächtlichen Geisterstadt, einem
Ort, an dem nur ein paar Schnapsläden und versiffte Hotels noch ihr Dasein
fristen könnten. Sie schien in dem Interview nicht besonders glücklich, dass
ihr die Realität recht gab, vielmehr klang es, als ob sie einem toten Freund
nachweine, als sie erzählte, was aus dem Civic Center geworden war.